Neuer Kult um Leica: Vor 100 Jahren revolutionierte
die Nobelfirma aus der hessischen Provinz die Fotografie. Heute erobert
sie ein zweites Mal die Welt.
Der schönste Tag des
Jahres 2013 dürfte für Tausende Fotofreunde im März liegen. Dann soll
endlich die Kamera ausgeliefert werden, der sie seit Monaten
entgegenfiebern. Ein Mann hat sie schon als Liebesbeweis eingeplant:
„Ich will meiner Freundin eine Leica M zur Hochzeit schenken“, meldete
er sich kürzlich im einschlägigen Internet-Forum und bat um Beratung.
Seine Angebetete träume schon ihr ganzes Leben von einer Leica. „Als
Budget habe ich maximal 15 000 Euro“, schrieb der Mann, „da ich unser
Auto zu Gunsten einer U-Bahn-Jahreskarte eingetauscht habe.“
Was nach übersteigertem Liebesrausch klingt,
sehen Leica-Enthusiasten als Normalfall. Für Fotoapparat und ein bis
zwei Objektive geben sie ganz selbstverständlich den Gegenwert eines
Kleinwagens aus. Sie warten trotz Premium-Preis die Lieferzeit von bis
zu sechs Monaten ohne Murren ab. Und wenn Leica ein neues Modell
ankündigt, wie vergangenen September eben diese M, dann tragen sich Fans
blind in die Warteliste ein – obwohl es noch keinerlei Tests gibt.
Leica ist Kult – und kann es sich deshalb leisten, deutlich anders und dramatisch teurer zu sein als
Nikon,
Canon,
Sony
& Co. Während die Marktführer aus Fernost mit riesigen
Entwicklungsabteilungen aufs Innovationstempo drücken, schätzen
Leica-Fans die traditionellen Werte ihrer Marke, bei der Handarbeit und
das Prädikat made in Germany Qualität signalisieren.
Keine andere
Firma verfügte wohl über die Chuzpe, mit der M Monochrom eine
Digitalkamera herauszubringen, die ausschließlich in Schwarz-Weiß
aufnehmen kann und 6800 Euro kostet.
Aufsichtsratschef Andreas
Kaufmann vergleicht die Lage des Unternehmens mit der in Asterix-Comics:
„Wir sind das kleine gallische Dorf“, sagt der Österreicher, der mit
seiner Investmentfirma ACM Mehrheitseigner ist. Den Weltmarktanteil der
Edelkameras aus der hessischen 13 000-Einwohner-Stadt Solms beziffert er
auf 0,15 Prozent.
Vor 100 Jahren war das ganz anders: Im
Nachbarort Wetzlar wurde das Massenphänomen Fotografie geboren. Weil dem
asthmakranken Entwicklungschef der Leica-Vorgängerfirma Leitz, Oskar
Barnack, Rollfilm- und Plattenkameras zu groß und zu schwer waren,
tüftelte er an einem Mini-Fotoapparat. Der begeisterte Naturfotograf
befüllte ihn mit Kino-Rohmaterial: 35-Millimeter-Filmstreifen. So
entstand um 1913 die erste Kleinbildkamera der Welt.
Die
Leica-Tradition steckt heute in der M-Serie, der umsatzstärksten und
populärsten Kamera-Familie aus Solms. Legendäre Aufnahmen wurden mit
M-Modellen geschossen – etwa das bekannteste Porträt des Revolutionärs
Che Guevara und das weinende, nackte „Napalm-Mädchen“ im Vietnamkrieg.
Die
erste Generation hieß M3 und kam 1954 auf den Markt. Objektive von
damals passen bis heute an aktuelle Apparate. Ein Fotograf aus der
M-Urzeit würde sich mit digitalen Neuheiten sofort zurechtfinden. Denn
technische Annehmlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte, müssen bei der M
draußen bleiben:
• Vollautomatische Belichtung? Gibt es nicht. Leica-M-Fotografen drehen wie eh und je am Blendenring.
•
Autofokus? Undenkbar. Die Schärfe wird manuell eingestellt – mit Hilfe
eines Mess-Suchers, dessen Prinzip noch vor dem Siegeszug der
Spiegelreflexkameras entstand. Durch ihn sehen Leica-Künstler auch nicht
den wahren Bildeindruck. Den Ausschnitt kennzeichnen eingeblendete
Rechtecke. Je nach Brennweite des Objektivs ist ein anderes Rechteck
gültig.
• Vergrößerungsstarke Tele- und Makro-Objektive? Die sind
technisch unvereinbar mit dem Mess-Sucher. Weil die neue M erstmals
eine Live-Vorschau auf dem Display bietet, wird ihr Einsatz immerhin
eingeschränkt möglich.